Artikel | 14.07.2021

Können und sollen Epilepsie-Betroffene sich gegen COVID-19 impfen lassen?

Aufgrund der aktuell zunehmenden Impfrate in der Schweiz häufen sich die Anfragen von Epilepsie-Betroffenen, ob wir die COVID-19-Impfung bei Menschen mit Epilepsie empfehlen.

COVID-19-Impfung generell empfehlenswert

Generell können wir sagen, dass die COVID-Impfung bei Patientinnen und Patienten mit Epilepsie empfehlenswert ist. Weder in der Literatur noch basierend auf unserer klinischen Erfahrung gibt es aktuell Hinweise darauf, dass für Patientinnen und Patienten mit Epilepsie ein erhöhtes gesundheitliches Risiko bei einer Impfung gegen COVID-19 besteht. Im Allgemeinen können wir für unsere Patientinnen und Patienten daher gleich wie für die Allgemeinbevölkerung festhalten, dass das Risiko bei einer COVID-19-Erkrankung wesentlich höher ist als die potentiellen Risiken im Rahmen einer Impfreaktion.

Zudem finden sich in der Literatur bislang keine Hinweise auf eine Anfallshäufung oder eine Zunahme der Anfallsschwere bei bekannter Epilepsie durch die Impfung. Auch sind uns keine dokumentierten Fälle neu aufgetretener Epilepsien bekannt, welche kausal mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden können.

Vorsichtsmassnahmen bei bekannten fiebersensitiven Epilepsien

Eine gewisse Vorsicht ist geboten bei Patientinnen und Patienten mit bekannten Fieber-sensitiven Epilepsien. Jede Patientengruppe also, bei denen eine moderate Temperaturerhöhung regelhaft mit epileptischen Anfällen einhergeht. Da eine anhaltend erhöhte Temperatur eine bekannte und häufige (>10% der Fälle) Impfreaktion ist, besteht bei diesen Betroffenen das Risiko einer kurzfristigen Anfallshäufung. Man kann ihnen empfehlen, nach der Impfung und wenige Tage (selten länger als 3 Tage) darüber hinaus, prophylaktisch eine fiebersenkende Therapie (z.B. mit Paracetamol) einzunehmen1. Gemäss aktuellen Empfehlungen sollte mit der Gabe der fiebersenkenden Therapie 6 Stunden nach der Impfung zugewartet werden, um die Impfwirkung nicht zu verringern2.

In speziellen Fällen mit bekannten, schwer behandelbaren Fieber-sensitiven Epilepsien (z. B. beim Dravet Syndrom) kann die Impfung auch unter stationärer epileptologischer Überwachung an unserer Klinik durchgeführt werden.

Vorsichtsmassnahmen bei immunsupprimierender Therapie

Eine zweite Spezialgruppe bilden die Patientinnen und Patienten, welche unter immunsupprimierender Therapie stehen. Dies sind in der epileptologischen Kohorte zum Beispiel Personen mit Rasmussen Enzephalitis oder autoimmuner Enzephalitis: Sie werden zum Beispiel mit Steroiden, Azathioprin oder Rituximab immunmodulatorisch behandelt und können somit eine relevante Immunsuppression haben.

In der Regel stellt dies aber auch kein Ausschlusskriterium für eine Impfung dar. Wir raten dieser Patientengruppe, Rücksprache mit den behandelnden Neuroimmunologen zu halten.

Insgesamt können wir allen Epilepsiepatientinnen und -patienten, für die die oben diskutierten Risikokonstellationen nicht bestehen, empfehlen, die COVID-19-Impfung zeitnah durchzuführen, um sich so vor einem schweren Erkrankungsverlauf zu schützen.

Referenzen

1Doedée AM, Boland GJ, Pennings JL, et al. (2014). Effects of prophylactic and therapeutic paracetamol treatment during vaccination on hepatitis B antibody levels in adults: two open-label, randomized controlled trials. PLoS One; 9 (6): e9817. doi: 10.1371/journal.pone.0098175.

2Lenzen-Schulte M (2021). Nebenwirkungen bei COVID-19-Impfung: Nicht zu früh therapieren. Dtsch Arztebl; 118(12): A-620 / B-523.

International League against Epilepsy: www.ilae.org/patient-care/covid-19-and-epilepsy