Artikel | 13.06.2023

Präzisionstherapien bei genetischen Epilepsien: Fact or Fiction?

Die Präzisionstherapien gewinnen in der Behandlung von Kindern mit Epilepsien zunehmend an Bedeutung. Ihr innovativer Ansatz besteht darin, auf Grundlage einer spezifischen genetischen Ursache eine passgerechte Therapie zu entwickeln.

Epilepsien im Kindesalter sind in etwa 30% der Fälle genetisch bedingt. Mehrheitlich wird eine polygenetische Ursache angenommen, wie etwa bei den idiopathischen generalisierten Epilepsien. In den letzten Jahren konnten, dank enormer technischer Fortschritte der Molekulargenetik, eine Vielzahl monogenetischer Epilepsien identifiziert werden. Dabei handelt es sich häufig um früh beginnende, schwer verlaufende Epilepsieformen, sogenannte epileptische Encephalopathien.

Klinisch-genetische Diagnostik
Das klinische Spektrum der monogenetischen epileptischen Encephalopathien ist gross. Je nach zugrundeliegendem Pathomechanismus können wir neuerdings verschiedene Gruppen differenzieren, wie etwa Ionenkanalerkrankungen (zum Beispiel Dravet-Syndrom durch Mutationen im SCN1A-Gen) oder Synaptopathien (zum Beispiel Ohtahara-Syndrom durch Mutationen im STXBP1-Gen).

Die Diagnostik ist anspruchsvoll. Sie erfordert spezielle klinische Expertise und eine umfassende apparative Ausstattung mit Video-EEG-Monitoring. Je nach spezifischer Befundkonstellation schliesst sich eine gezielte genetische Untersuchung an. Das Schweizerische Epilepsie-Zentrum an der Klinik Lengg betreut eine Vielzahl von Kindern mit monogenetischen epileptischen Encephalopathien. Diese sind oft therapieschwierig und sprechen auf gängige anfallsunterdrückende Medikamente allenfalls teilweise an.

Präzisionstherapien bringen deutlichen Fortschritt
Basierend auf den genetischen Erkenntnissen werden in den letzten Jahren zunehmend Substanzen entwickelt, die spezifisch auf die zugrundeliegende genetische Ursache einer Epilepsie abzielen. Liegt beispielsweise eine Mutation in einem Gen vor, welches die Aktivität eines Ionenkanals im Gehirn reguliert, kann eine Substanz entwickelt und eingesetzt werden, die gezielt die Funktionsstörung dieses Ionenkanals beeinflusst. In Kürze werden etwa neue, sogenannte «small molecules» Eingang in die Therapie dieser schweren Epilepsieformen finden, darunter spezifische Natriumkanalblocker und ein Kaliumkanalöffner. Diese Substanzen haben ein grosses Potenzial, die Behandlungsmöglichkeiten zu erweitern und die Lebensqualität der betroffenen Kinder entscheidend zu verbessern.

PD Dr. med. Lukas Imbach und Dr. med. Markus Wolff besprechen die optimale, individuell angepasste Therapie gemäss den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung.

Eine weitergehende, vielversprechende Behandlungsoption ist eine Therapie, bei der kleine DNA- oder RNA-Moleküle (als Antisense-Oligonukleotide oder ASO bezeichnet) zum Einsatz kommen. Diese Oligonukleotide können spezifisch an die Boten-RNA (mRNA) binden, die den genetischen Code für die Produktion beispielsweise eines Ionenkanals enthält. Durch diese Bindung kann die Funktion der mRNA und folglich des fehlerhaften Ionenkanals reduziert oder moduliert werden, was den Krankheitsverlauf ursächlich beeinflussen und im optimalen Fall nicht nur die Epilepsie, sondern auch die begleitenden neurologischen und kognitiven Symptome entscheidend verbessern kann.

Innovative Forschungsprojekte und internationales Netzwerk
Aktuell werden diese innovativen Therapien bereits bei Kindern mit Epilepsien in klinischen Studien geprüft und weiter erforscht. Bei Kindern mit SCN1A-bedingtem Dravet-Syndrom gibt es erste vielversprechende Ergebnisse. Bei SCN2A-bedingten Epilepsien steht der erstmalige Einsatz an jungen Patientinnen und Patienten unmittelbar bevor. Die Klinik Lengg ist Partnerin in den beteiligten internationalen Netzwerken. Dadurch profitieren Kinder und Jugendliche am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum der Klinik Lengg von neuesten Erkenntnissen und Therapieoptionen.

Präzisionstherapien bei Kindern mit Epilepsie haben ein grosses Potenzial, die Behandlungsmöglichkeiten zu erweitern und die Lebensqualität der betroffenen Kinder entscheidend zu verbessern. Wir identifizieren an unserem Zentrum durch eine qualitativ hochwertige klinische und epileptologische Diagnostik die Patientinnen und Patienten, die von Präzisionstherapien profitieren können.