Artikel | 30.11.2021

Aktuelles aus der Forschung

Dr. Francesco Capecchi, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Co-Gewinner des Forschungs-Förderungspreises der Schweizerischen Epilepsie-Liga 2020, stellt Ihnen sein innovatives Forschungsprojekt zur akustischen Stimulation in der Epilepsiebehandlung vor.

Akustische Stimulation

Etwa ein Drittel der Patientinnen und Patienten mit Epilepsie leiden trotz ausgebauter medikamentöser Therapie weiterhin an epileptischen Anfällen. Diese Patientinnen und Patienten werden an unserem Zentrum epilepsiechirurgisch abgeklärt, mit dem Ziel eine resektive Operation oder ein Stimulationsverfahren wie die tiefe Hirnstimulation einzusetzen. Für Patientinnen und Patienten, welche für diese Verfahren nicht in Frage kommen, sind dringend innovative Therapieansätze notwendig.

Nacht und Epilepsie

Bereits seit der vor-modernen Medizin ist bekannt (siehe zum Beispiel Aristoteles im 5. Jahrhundert v. Chr.), dass viele Menschen mit Epilepsie ihre Anfälle oft oder sogar ausschliesslich in der Nacht erleiden. Vor allem die Einschlafphase, das Aufwachen und der Tiefschlaf sind Phasen von hochsynchronisierter Aktivität des Gehirns, und stellen somit günstige Konditionen für epileptische Anfälle dar.

Zum Beispiel ist die Rolandoepilepsie mit centrotemporalen Spikes charakterisiert durch eine deutliche Aktivierung des EEGs besonders während dem Tiefschlaf mit vereinzelt auftretendem nächtlich elektroencephalographischem Status epilepticus. Im Erwachsenenalter sind es vor allem die Patientinnen und Patienten mit Frontallappenepilepsie, die eine deutliche Anfallshäufung im Tiefschlaf aufweisen. Es gibt aber auch genetische Epilepsien, wie zum Beispiel die Auf-Wach-Grandmal Epilepsie, welche sich durch Anfallshäufung in der Aufwachphase auszeichnet.

Wichtig für den Zusammenhang zwischen Schlaf und Epilepsie ist der Deltaschlaf: Hochamplitudige, langsame rhythmische Oszillationen im Deltabereich (ca. 0.5 – 4/s) sind das elektroenzephalographische Kennzeichen des Tiefschlafs und Ausdruck der vorherrschenden globalen Synchronisierung der Nervenzellen.

Epileptische Entladungen nehmen bereits im leichten Schlaf im Vergleich zum Wachzustand zu und erreichen ein Maximum im Deltaschlaf1,2. Insbesondere scheinen epilepsietypische Potentiale mit der «down» Phase der Deltawellen assoziiert zu sein3.

Zu Beginn der Nacht ist der Schlaf besonders tief und die Deltawellen entsprechend besonders ausgeprägt. Dieses Phänomen, welches man als Schlafhomöostase bezeichnet, ist wichtig für das Lernen und für die Konsolidierung des Gedächtnisses und kann bei Patientinnen und Patienten mit Epilepsie beeinträchtigt sein4,5.

Figur 1: Die Phasen der Deltawellen werden als «down-Phase» definiert, wenn oberflächen-positiv und als «up-Phase» wenn oberflächen-negativ. (Bild: Dr. Francesco Capecchi, Klinik Lengg.)

Der Tag hat Augen, die Nacht hat Ohren

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass sich die oben beschriebenen Schlafelemente des Tiefschlafs durch akustische Reize beeinflussen lassen6. Die «Closed-loop acoustic stimulation» (CLAS), das heisst die Modulation der Deltawellen durch phasenabhängige akustische Stimuli, wird zunehmend in verschiedenen neurologischen Erkrankungen experimentell erpropt, zum Beispiel in der Demenz oder bei der Parkinson Erkrankung7. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Epilepsie und Schlaf vermuten wir, dass diese nicht-invasive Technik auch in der Epilepsiebehandlung therapeutisch eingesetzt werden kann, indem der Tiefschlaf verbessert wird und damit die epileptische Aktivität unterdrückt wird.

Figur 2: Setting des Experimenten mit real-time Detektion der Deltawellen und phasen-abhängiger CLAS während des Tiefschlafs (Bild: Angelina Maric, UZH)

Als Kollaborationsprojekt innerhalb des Zentrums für Epileptologie und Epilepsiechirurgie (ZEE, d.h. Universitäts- Spital Zürich, Universitäts-Kinderspital Zürich, Klinik Lengg) wollen wir nun mittels Erweiterung eines SNF-Projektes von Prof. R. Huber (SNF No. 179443) in enger Zusammenarbeit mit seiner Gruppe am Universitäts-Kinderspital sowie dem Hochschulmedizin Projekt Sleep-Loop (Prof. Ch. Baumann, USZ) erforschen, ob sich die interiktale epileptische Aktivität im EEG durch gezielte Stimulationsparameter reduzieren lässt.

Auch erhoffen wir uns, die homöostatische Funktion des Schlafes unserer Patientinnen und Patienten zu restaurieren und somit ihre kognitiven Funktionen tagsüber zu verbessern. Für die Initiierung dieses Projekts hat Dr. Capecchi ein Stipendium der Schweizerischen Epilepsieliga erhalten.

Referenzen

1Rossi GF, Colicchio G, Pola P. Interictal epileptic activity during sleep: a stereo-EEG study in patients with partial epilepsy. Electroencephalogr Clin Neurophysiol (1984) 58:97–106. doi:10.1016/0013-4694(84)90022-1.

2Malow BA, Kushwaha R, Lin X, Morton KJ, Aldrich MS. Relationship of interictal epileptiform discharges to sleep depth in partial epilepsy. Electroencephalogr Clin Neurophysiol (1997) 102:20–6. doi:10.1016/S0013-4694(96)96028-9.

3Frauscher B et al. Facilitation of epileptic activity during sleep is mediated by high amplitude slow waves. Brain 2015 Jun;138(Pt 6):1629-41. doi: 10.1093/brain/awv073.

4Daan S et al. Timing of human sleep: recovery process gated by a circadian pacemaker. Am J Physiol 1984 Feb; 246(2 Pt2):R161-83. doi: 10.1152/ajpregu.1984.246.2.R161.

5Boly M et al. Altered sleep homeostasis correlates with cognitive impairment in patients with focal epilepsy. Brain 2017 Apr 1; 130(4):1026-1040. doi: 10.1093/brain/awx017.

6Ngo et al. Auditory closed-loop stimulation of the sleep slow oscillation enhances memory. Neuron 2013 May 8;78(3):545-53. doi: 10.1016/j.neuron.2013.03.006.

7Papalambros N et al. Acoustic enhancement of sleep slow oscillations in mild cognitive impairment. Ann Clin Transl Neurol. 2019 Jul; 6(7): 1191–1201. doi: 10.1002/acn3.796.