Artikel | 29.06.2023

«Die Präzisionstherapie eröffnet bei seltenen Epilepsiesyndromen neue Perspektiven.»

Die Präzisionstherapien gewinnen in der Behandlung von Epilepsien zunehmend an Bedeutung. PD Dr. med. Lukas Imbach, Medizinischer Direktor Epileptologie und
Dr. med. Markus Wolff, Leitender Arzt für Kinder und Jugendliche an der Klinik Lengg, erläutern im Interview, wie die Präzisionstherapie bei seltenen Epilepsiesyndromen helfen kann.

Herr Dr. Wolff, was sind seltene Epilepsiesyndrome?
Ein Epilepsiesyndrom gilt als selten, wenn höchstens 1 von 2 000 Personen davon betroffen ist. Man weiss inzwischen, dass viele dieser Syndrome durch seltene Genveränderungen bedingt sind. Aktuell sind rund 100 verschiedene seltene genetische Epilepsieformen bekannt. Fast alle beginnen im frühen Kindesalter. Die genaue Abklärung mit Einleitung einer gezielten molekulargenetischen Diagnostik gehört zu unseren Schwerpunkten. Die exakte Kenntnis des krankheitsauslösenden Mechanismus bildet die Voraussetzung für eine Präzisionstherapie.

Aktuell sind rund 100 verschiedene seltene genetische Epilepsieformen bekannt.
Dr.med. Markus Wolff

Wie verläuft eine Präzisionstherapie?
Die genetische Diagnose erlaubt uns Einblicke in zelluläre Mechanismen der Anfallsentstehung. Die Präzisionstherapie setzt genau da an, indem sie gezielt auf die Anomalität auf der Zellebene ausgerichtet wird. Wir definieren somit für jeden Patienten und jede Patientin eine optimale, individuelle Therapie. Dies ist sehr komplex, da viele Faktoren zusammenspielen, und die falsche Therapie könnte die Symptome auch verstärken. Unsere Patientinnen und Patienten profitieren davon, dass wir diese seltenen Epilepsien in multizentrischen Studien weiter erforschen und international stark vernetzt sind.

Herr Dr. Imbach, seltene Epilepsien treten meist im Kindesalter auf. Irgendwann werden diese Jugendlichen erwachsen …
Und dieser Zeitpunkt stellt eine grosse Herausforderung dar. Sie sollten unbedingt weiterhin an einem Zentrum betreut werden, das über grosse Expertise mit seltenen Epilepsien verfügt und sie optimal unterstützen kann. Die sogenannte Transition von Jugendlichen in den Erwachsenenbereich funktioniert
bei uns innerhalb der Klinik sozusagen «über den Gang». Wir können somit einen nahtlosen Übergang ohne Informationsverlust und im vertrauten Umfeld gewährleisten. Ein Vorteil ist auch, dass für die weitere medizinische Betreuung von jungen Erwachsenen die vollständigen pädiatrischen Vorinformationen verfügbar sind.