Artikel | 08.02.2024

Epilepsiechirurgie: Hoffnung auf ein Leben ohne Epilepsie für Kinder und Jugendliche

Unkontrollierte Epilepsie hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und soziale Integration der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Für medikamentenresistente Patientinnen und Patienten kann die Epilepsiechirurgie eine lebensverändernde Option darstellen.

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Während die Anfälle bei der Mehrzahl der Patientinnen und Patienten gut medikamentös behandelbar und zum Teil auch selbstlimitierend sind, bleibt ein Anteil von etwa 30 Prozent sogenannter medikamenten-resistenter Epilepsien. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Medikamente die Anfälle nur unterdrücken und nicht heilen und auch Nebenwirkungen verursachen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Lebensqualität und Zukunftschancen der Betroffenen. Eine erfolgreiche chirurgische Therapie würde dagegen eine definitive Behandlung darstellen und wäre daher besonders für Kinder und Jugendliche erstrebenswert.

Indikationen
Bereits 2006 hat die Subkommission für Pädiatrische Epilepsiechirurgie der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) in ihren Empfehlungen festgehalten: Bei Kindern mit epileptischen Anfällen, die durch medikamentöse Therapie nicht kontrolliert werden (d. h. Versagen von 2 oder 3 geeigneten Medikamenten) oder die stark beeinträchtigend sind (einschliesslich Medikamentennebenwirkungen), soll ein möglicher epilepsiechirurgischer Eingriff geprüft werden. Dies betrifft insbesondere Kinder mit fokal beginnenden Anfällen, bei denen sich MR-tomographisch eine Läsion zeigt, die chirurgisch entfernt werden könnte, oder bei denen eine epilepsiebedingte Entwicklungsstagnation/-regression vorliegt. Die Diagnose einer genetischen Erkrankung oder die Präsenz multipler oder ausgedehnter Läsionen stellen hierbei kein Ausschlusskriterium dar (siehe auch Tabelle 1). Nicht alle diese Patientinnen und Patienten können dann auch einem epilepsiechirurgischen Eingriff zugeführt werden. Die Evaluation sollte aber aufgrund der oft irreversiblen Beeinträchtigung der Entwicklung durch die Epilepsie möglichst frühzeitig erfolgen, bei früh beginnenden katastrophalen Epilepsien auch bereits im ersten Lebensjahr.

Tabelle 1: Indikationen zur prächirurgischen Abklärung. (© Klinik Lengg)

Präoperative Diagnostik
Ziel der präoperativen Diagnostik ist erstens die Identifikation der sogenannten epileptogenen Zone. Dies ist der Bereich des Gehirns, von dem Anfälle ausgehen (können), und dessen Entfernung oder Abtrennung daher notwendig ist, um Anfallsfreiheit zu erzielen. Zweitens muss die Abgrenzung von sogenannten eloquenten Arealen erfolgen. Dies sind Bereiche des Gehirns, die wichtige Funktionen enthalten und die deshalb bei einem chirurgischen Eingriff geschont werden müssen. Die Abklärung von Kindern und Jugendlichen erfolgt dabei grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien wie bei Erwachsenen. Insbesondere bei kleinen Kindern gibt es jedoch eine Vielzahl von epileptischen Syndromen, die zum Teil selbstlimitierend und/oder Folge einer genetischen Erkrankung sind, was bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden muss. Auch sind Anfallssemiologie und EEG oft weniger lokalisierend als bei älteren Kindern und Erwachsenen. Eine korrekte Syndromdiagnose ist daher wichtig, bevor man über die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs nachdenkt. Ein Vorteil ist wiederum die grössere Plastizität des Gehirns im Fall einer Operation. So kann beispielsweise bei Kindern unter 6 Jahren die Sprache noch in die nicht betroffene Hemisphäre transferiert werden.

Unverzichtbare Untersuchungen sind die Aufzeichnung typischer Anfälle mittels Video-EEG-Monitoring mit Oberflächenelektroden, eine hochaufgelöste MR-Tomographie des Schädels nach Epilepsieprotokoll und eine neuropsychologische Untersuchung zur Dokumentation des Entwicklungsstandes. Letztere kann Hinweise auf den möglichen Anfallsursprung geben und ist zugleich wichtig für die Einschätzung der Prognose nach einem chirurgischen Eingriff. Häufig werden unterstützende Untersuchungen eingesetzt: Mit der FDG-PET wird der Zuckerstoffwechsel des Gehirns, der in Regionen mit epileptischer Aktivität oft verändert ist, untersucht. Bei älteren Kindern und Jugendlichen können auch eine funktionelle MRI oder evtl. auch ein Wada-Test (intracarotidale Injektion eines kurzwirkenden Narkotikums zur Ausschaltung einer Gehirnhälfte) zur Bestimmung der Sprachlateralisierung zum Einsatz kommen. Einen zunehmenden Stellenwert haben heute computergestützte Analysemethoden sowohl für die bildgebenden Verfahren (Post-Processing, Coregistrierung mehrerer Bildmodalitäten) als auch für das EEG (Quellenlokalisation). Sie ermöglichen eine bessere Visualisierung der epileptogenen Zone und wichtiger Funktionen. Weitere Entwicklungen, auch unter Einsatz künstlicher Intelligenz, sind hier zu erwarten.

Falls der zu resezierende Bereich mit diesen Informationen nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden kann, ist bei etwa 20–30 Prozent der Patientinnen und Patienten eine invasive Video-EEG-Ableitung mit direkt auf oder in das Gehirn implantierten Elektroden notwendig. Hierbei kommen heute aufgrund des geringeren Risikos im Vergleich zu subduralen Elektroden meist stereotaktisch implantierte Tiefenelektroden zum Einsatz. Mit diesen Elektroden kann auch eine genauere Funktionslokalisation (Motorik, Sprache) mittels Elektrostimulation erfolgen.

Wenn schliesslich alle Informationen vorliegen, wird in einer interdisziplinären Fallkonferenz eine OP-Empfehlung erarbeitet. Dies ist immer eine individuelle, wenn auch möglichst evidenzbasierte, Entscheidung unter Berücksichtigung der Prognose der Epilepsie, der Chance auf Anfallsfreiheit und der OP-Risiken, wobei das Ziel eine Verbesserung der Lebensqualität durch möglichst vollständige Anfallskontrolle bei bestmöglichem Funktionserhalt ist (Grafik 1).
Aufgrund der hierzu notwendigen Expertise und der Verfügbarkeit der verschiedenen Untersuchungsmethoden sollte die Abklärung in einem spezialisierten Epilepsiezentrum erfolgen. Die Anforderungen für Deutschland, Österreich und die Schweiz wurden zuletzt 2014 in einer entsprechenden Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft prächirurgische Epilepsiediagnostik und operative Epilepsietherapie festgelegt.

Grafik 1: Evidenzbasierte Entscheidungsfindung im Rahmen der präoperativen Diagnostik. (© Klinik Lengg)

Operation
Es gibt verschiedene chirurgische Techniken, die je nach den individuellen Gegebenheiten bei der Behandlung von Epilepsien bei Kindern eingesetzt werden können. Die häufigste Pathologie, die bei Kindern und Jugendlichen zu einem epilepsiechirurgischen Eingriff führt, sind fokale kortikale Dysplasien, gefolgt von glioneuronalen Tumoren. Anders als bei Erwachsenen ist die Lokalisation öfter extratemporal oder multilobär. Der häufigste epilepsiechirurgische Eingriff ist demnach die Resektion einer Läsion, die in der präoperativen Diagnostik als anfallsverursachend identifiziert wurde, wobei der wichtigste Prädiktor für dauerhafte Anfallsfreiheit eine vollständige Resektion der epileptogenen Zone ist. Da insbesondere fokale cortikale Dysplasien oft schwer abgrenzbar sind und Anfälle auch im Randbereich einer Läsion entstehen können, erfolgt die Resektion meist mit intraoperativer Elektrokortikographie, d.h. EEG-Ableitung während der Operation. Bei multiplen oder ausgedehnten Läsionen kann auch ein mehrzeitiges Vorgehen erwogen werden. Eine neuere vielversprechende Entwicklung für umschriebene Läsionen ist die stereotaktische Laserablation, mit der pathologisches Gewebe MR-gestützt sehr präzise und schonend eliminiert werden kann. Bei Kindern mit ausgedehnten unilateralen oder hemisphärischen Läsionen kann auch eine Hemisphärotomie, d.h. die Abtrennung einer Gehirnhälfte, oder die Diskonnektion eines Teils einer Hemisphäre notwendig sein.

Falls eine Resektion oder Diskonnektion mit dem Ziel der Anfallsfreiheit nicht möglich ist, kann in einigen Fällen auch ein sogenanntes palliatives Verfahren zum Einsatz kommen, wie z.B. die Durchtrennung des Corpus Callosum zur Verhinderung der Ausbreitung insbesondere tonischer Sturzanfälle. Eine weitere Option für multifokale oder generalisierte Epilepsien sind Stimulationsverfahren, hier für Kinder zugelassen nur die Vagusnervstimulation (VNS), bei der ein Stimulationsgerät im Brustbereich unter die Haut implantiert wird, das dann elektrische Impulse an den Vagusnerv abgibt, was eine Verbesserung der Anfallssituation – jedoch nur selten Anfallsfreiheit – bewirken kann.

Ergebnisse
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Epilepsiechirurgie bei Kindern in vielen Fällen zu Anfallsfreiheit bzw. einer erheblichen Verbesserung der Anfallskontrolle führt. Insgesamt liegt die Chance auf Anfallsfreiheit bei 60-70 Prozent, die langfristigen Ergebnisse hängen jedoch von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des Alters des Kindes bei der Operation, der Dauer der Epilepsie, der Art, Ausdehnung und Lokalisation der zu resezierenden oder abzutrennenden Läsion(en) und der Genauigkeit der Lokalisation der epileptogenen Zone. Im Allgemeinen ist die Chance auf Anfallsfreiheit umso höher, je umschriebener und chirurgisch zugänglicher die Läsion ist, wobei auch bei Hemisphärotomien eine sehr gute Chance auf Anfallsfreiheit besteht. In den Händen eines erfahrenen neurochirurgischen Teams und bei Einsatz moderner Operationstechniken ist das Risiko ungeplanter neurologischer Defizite oder sonstiger Komplikationen mit 2-5 Prozent hierbei überschaubar. Nach der Operation sollte weiterhin eine engmaschige Betreuung mit regelmässigen Verlaufsuntersuchungen und eventuell notwendigen Therapien erfolgen, um die Entwicklungschancen der Kinder zu maximieren. Bei Anfallsfreiheit können und sollten die anfallssuppressiven Medikamente sukzessive ausgeschlichen werden.

Referenzen

  1. Cross JH. et al. Epilepsy surgery for children and adolescents – evidence based but underutilised. The Lancet Child & Adolescent Health 2022; 6(7): 484-494. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352464222000980
  2. Ryvlin P, Cross JH, Rheims S. Epilepsy surgery in children and adults. Lancet Neurol 2014; 13: 1114–26. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(14)70156-5
  3. Cross JH et al. Proposed Criteria for Referral and Evaluation of Children for Epilepsy Surgery: Recommendations of the Subcommission for Pediatric Epilepsy Surgery. Epilepsia 2006;,47(6):952–959. doi.org/10.1111/j.1528-1167.2006.00569.x
  4. Rosenow F et al. Qualitaetsleitlininien_Praechirurgische Epilepsiediagnostik_2014_03_25-final
  5. Ramantani G & Zentner J. Epilepsy Surgery in Children and Adolescents. Neurology International Open 2017; 1: E86–E97. doi.org/10.1055/s-0043-102834