Artikel | 01.09.2022

Erstmaliger epileptischer Anfall: Initiale Diagnostik und Implikationen

Ein erstmaliger epileptischer Anfall ist für betroffene Patientinnen und Patienten ein einschneidendes Ereignis und wirft viele Fragen auf. Die Abklärung der Ursache und die fundierte Einschätzung des Rezidivrisikos sind in diesem Zusammenhang zentral.

Neben teilweise existentiellen Fragen bezüglich Fahreignung, Arbeitsfähigkeit bei gefährlichen Arbeiten und mit Schutzbefohlenen oder Arbeiten mit Personentransport, steht für die Patientinnen und Patienten nach einem erstmaligen unprovozierten Anfall die Ursachenabklärung und die Einschätzung des Rezidivrisikos im Vordergrund. Mit dieser Frage ist auch die Behandlungsindikation eng verknüpft.

Initiale Diagnostik und Vorgehen
In einem ersten Schritt ist es im diagnostischen Gang zur Klärung dieser Fragen erforderlich, eine zeitnahe Abklärung mittels MRI des Kopfes sowie üblicherweise auch einem Standard-EEG über 20 Minuten durchzuführen. Zeigen sich hierbei eindeutig pathologische Befunde, die ein Risiko eines Zweitanfalls von mindestens 60% belegen (wie z.B. ein länger zurückliegender Schlaganfall als Anfallsauslöser), so kann bereits nach einem einmaligen Ereignis eine Epilepsiediagnose gestellt werden und eine antikonvulsive Therapie indiziert sein.

Rezidivrisiko impliziert oftmals weitergehende Diagnostik
Häufiger zeigen jedoch das initiale MRI des Kopfes und das Standard-EEG normale Befunde und das Rezidivrisiko für weitere Anfälle bleibt zunächst offen, ist aber gemäss grösseren retrospektiven Studien bei 20-30% in den nächsten fünf Jahren doch signifikant erhöht.
In dieser Konstellation kann therapeutisch zunächst zugewartet werden oder aber versucht werden, das Rezidivrisiko genauer abzuschätzen. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Diagnose Epilepsie hinsichtlich der Berufsausübung oder im Hinblick auf die Fahreignung einschneidende Konsequenzen hat.

Als weiterführende diagnostische Verfahren können in diesen Fällen an unserem Zentrum die MRI-Bildnachverarbeitung (post-processing) sowie ausführlichere EEG-Untersuchungen mit Einsatz auch quantitativer EEG-Analysemethoden mit automatisierten Algorithmen angewendet werden. Im MRI-Postprocessing können so zum Beispiel bislang nicht entdeckte epileptogene Läsionen identifiziert werden, welche mit einem erhöhten Rezidivrisiko einhergehen (wie zum Beispiel fokale kortikale Dyspasien). Methoden des machine learnings in der EEG-Analyse können die diagnostische Aussagekraft des Standard-EEGs weiter signifikant erhöhen, wobei dieser Ansatz aktuell noch experimentell ist und weiter erforscht werden muss.

Darüber hinaus kann als diagnostischer Goldstandard in diesen Fällen auch eine 72-Stunden-Langzeit-Video-/EEG-Untersuchung durchgeführt werden. Obschon prospektive Daten zur Wertigkeit des Langzeit-EEGs nach einem erstmaligen Anfall noch ausstehen, gibt diese Untersuchung uns aktuell die beste Einschätzung über das zu erwartende Rezidivrisiko für weitere epileptische Anfälle, die Behandlungsindikation im Einzelfall und die sich daraus ergebenden sozialen und beruflichen Implikationen.

In vielen Fällen ist daher eine detaillierte weiterführende Abklärung auch bereits nach einem erstmaligen epileptischen Ereignis angezeigt und kann zur Verhinderung von weiteren unprovozierten epileptischen Anfällen führen.

Aktuelle Forschungsprojekte zur Diagnostik am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum
Viele der aktuell angewendeten und neu etablierten diagnostischen Methoden sind auch Gegenstand der aktuellen Forschung am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum. So werden Analyse-Methoden der automatisierten EEG-Analyse bezüglich der klinischen Aussagekraft geprüft und weiterentwickelt und neuronale Netzwerke werden zur Analyse im MRI-Postprocessing eingesetzt. Zudem untersuchen wir die Wertigkeit des Langzeit-EEG in der Diagnosefindung mit konventionellen und automatisierten Verfahren.

Ziel dieser Forschungen ist die individuelle und möglichst genaue Vorhersage des jeweiligen Risikos für die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten, um den zu erwartenden Krankheitsverlauf vorherzusagen und passende therapeutische Rückschlüsse zu ziehen.