Artikel | 13.06.2023

Unklare Epilepsie: Seltene Erkrankungen abklären

Seltene Erkrankungen manifestieren sich oft durch eine Epilepsie. Wir nutzen das gesamte verfügbare Spektrum der Epilepsiediagnostik, um Personen mit neudiagnostizierter Epilepsie und Verdacht auf eine seltene Erkrankung eine gesicherte Diagnose an die Hand geben zu können.

Die Betreuung von Menschen mit seltenen Erkrankungen und Epilepsie hat am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum der Klinik Lengg eine lange Tradition. An unserem Zentrum erfahren Menschen mit seltenen Erkrankungen und Epilepsie eine ganzheitliche Betreuung, welche medizinische und soziale Belange umfasst. Zusätzlich setzen wir grosse Bemühungen in die Neudiagnose und die Neuentdeckung sowie das bessere Verständnis von seltenen Erkrankungen. Hierdurch erweitern wir laufend die Therapieoptionen für die Patientinnen und Patienten.

Seltene Krankheit oftmals Ursache für Epilepsie
Eine seltene Erkrankung ist dadurch definiert, dass Sie bei weniger als 0.05% der Gesamtbevölkerung auftritt 1,2. Da es wiederum viele seltene Erkrankungen gibt, die sich mit einer Epilepsie manifestieren, ist die Betreuung von Menschen mit seltenen Erkrankungen bei uns keine Seltenheit. Im Gegenteil: Eine laufende Kohortenstudie in Kooperation mit den Epilepsiezentren Bethel und Kehl-Kork zeigt auf, dass rund die Hälfte aller bei uns behandelten Patientinnen und Patienten mit Epilepsie als Ursache eine seltene Krankheit haben, die im Orphanet® gelistet ist.3

Unser Zentrum kann somit auf einen reichen Erfahrungsschatz bei der Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zurückgreifen.

Eine schnell wachsende und heterogene Gruppe: Übersicht über genetische Ursachen bekannter seltener Epilepsiesyndrome, aufgeschlüsselt nach dem typischen Alter des Erstauftretens.

[Bildquelle: Modifiziert aus EpiCARE: a European Reference Network for rare and complex epilepsies]

Gesicherte Diagnose ermöglicht zielgerichtete Therapie
Um Patientinnen und Patienten mit neudiagnostizierter Epilepsie und Verdacht auf eine seltene Erkrankung eine gesicherte Diagnose an die Hand geben zu können, bieten wir das gesamte Spektrum epileptologischer Abklärungen an: Dazu zählen Standard-EEGs und verschiedene Langzeit-EEG-Protokolle, um mit hoher Sensitivität eine Epilepsie klassifizieren zu können. Zusätzlich nutzen und bewerten wir bildgebende Abklärungen sowie Liquoruntersuchungen im Hinblick auf Autoimmunenzephalitiden. An unserem Zentrum nahmen wir ausserdem an einer internationalen Studie zur Findung genetischer Ursachen von syndromalen Krankheitsbildern mit kognitiver Entwicklungsstörung und Epilepsie teil.4

Die Ergebnisse von solch umfassenden Abklärungen sind nicht nur von rein wissenschaftlichem Interesse. Eine genaue Kenntnis der Ätiopathogenese eines Epilepsiesyndroms ermöglicht oft eine weitaus zielgerichtetere Behandlung – und vermeidet unnötige oder gar gefährliche Therapieansätze. Man denke beispielsweise an die gezielte Anwendung von Everolimus bei Epilepsien im Rahmen eines Tuberöse Sklerose-Komplex oder Fenfluramin bei Dravet-Syndrom.5 Oder im Gegensatz dazu an die strikte Meidung von Valproinsäure bei Epilepsien im Rahmen einer Mitochondriopathie.

Die alltägliche Erfahrung zeigt, dass Epilepsien bei seltener Erkrankung trotz der gegebenen Möglichkeiten noch unterdiagnostiziert sind. Hier laden wir Zuweiserinnen, Zuweiser und Betroffene ein, sich bei Epilepsien unklarer ätiologischer Zuordnung gerne mit uns in Verbindung zu setzen.


Literatur

  1. Aymé S, Schmidtke J. Networking for rare diseases: a necessity for Europe. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2007;50:1477–83.
  2. Baumgartner T, Carreño M, Rocamora R et al. A survey of the European Reference Network EpiCARE on clinical practice for selected rare epilepsies. Epilepsia Open. 2021;6(1):160-170. Published 2021 Jan 13. doi:10.1002/epi4.12459
  3. Laufende Studie: Elakkary S et al. A retrospective non-interventional study evaluating the prevalence of rare diseases associated with epilepsy at three epilepsy centres. doi:10.1111/epi.17515
  4. Lemke, JR. Diagnostik genetisch bedingter Epilepsien. Medizinische Genetik, vol. 31, no. 3, 2019, pp. 303-312. doi:10.1007/s11825-019-00255-6
  5. Kearney, H, Byrne, S, Cavalleri, GL, Delanty, N. Tackling epilepsy with high-definition precision medicine: A review. JAMA Neurol 2019 Sep 1;76(9):1109-1116. doi:10.1001/jamaneurol.2019.2384

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