Artikel | 31.08.2023

Aktuelle Entwicklungen der DBS-Forschung in der Epileptologie

Am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum erforschen wir die tiefe Hirnstimulation (DBS, deep brain stimulation) im Rahmen von klinischen Forschungsprojekten intensiv und interdisziplinär. Dabei verfolgen wir diverse Ansätze, wie wir dieses innovative Verfahren optimal für Patientinnen und Patienten einsetzen können.

Bei therapierefraktären Epilepsien, welche nicht für resektive epilepsiechirurgische Eingriffe infrage kommen, werden in den letzten Jahren vermehrt Stimulationsverfahren angewendet. Neben der Vagusnervstimulation kommt zur Behandlung von refraktären Epilepsien als neues Verfahren auch die tiefe Hirnstimulation (DBS, deep brain stimulation) im anterioren Thalamus zum Einsatz.

DBS-Forschung bei Epilepsie
Bei der tiefen Hirnstimulation (DBS) handelt es sich um einen minimalinvasiv durchgeführten, neurochirurgischen Eingriff. Zur Behandlung der Epilepsie werden dabei Elektroden im anterioren Thalamus zur kontinuierlichen Neurostimulation implantiert. Bisherige Studienergebnisse und unsere longitudinalen klinischen Erfahrungen bestätigen die gute Wirksamkeit dieses Verfahrens insbesondere bei therapieschwierigen Epilepsien. Im Vordergrund steht dann therapeutisch nicht die Anfallsfreiheit, sondern eine Verminderung der Anfallsfrequenz, der Anfallsschwere und eine Verbesserung der Lebensqualität für Menschen mit Epilepsie.

In Zürich wird das Verfahren seit 2013 eingesetzt. Die Kohorte der DBS-Patientinnen und -Patienten mit Epilepsie wird an unserem Zentrum kontinuierlich weiterbetreut und bezüglich Wirkung und Nebenwirkung klinisch untersucht. Die bisherigen Erfahrungen mit der tiefen Hirnstimulation zur Behandlung der Epilepsie sind positiv. Es zeigt sich allerdings auch, dass das Ansprechen auf die Therapie innerhalb der Kohorte erheblich variiert. Während einige Patientinnen und Patienten ein sehr gut auf die DBS-Behandlung ansprechen und selten sogar Anfallsfreiheit über einen längeren Zeitraum erreichen können, spricht das Verfahren bei anderen schlecht oder gar nicht an. Zudem zeigt sich, dass in seltenen Fällen auch stimulationsinduzierte Nebenwirkungen auftreten können. Frühere Studien haben zum Beispiel nahegelegt, dass sich der Schlaf unter der kontinuierlichen tiefen Hirnstimulation verschlechtern kann und in der Folge eine verstärkte Tagesschläfrigkeit oder gar eine Anfallsverschlechterung auftreten kann.

Diese klinischen Erfahrungen zeigen somit, dass das Verfahren der tiefen Hirnstimulation aufgrund der bisherigen Ergebnisse zwar sehr vielversprechend, aber letztlich noch zu wenig gut erforscht ist. Durch ein besseres Verständnis und beispielsweise angepasste Stimulationsverfahren kann eine weitere Verbesserung des Therapieansprechens für Menschen mit Epilepsie erreicht werden. Daher ist eine weiterführende klinisch orientierte Forschung in diesem Bereich, gerade für die Patientinnen und Patienten mit schwierig behandelbaren Epilepsien und therapierefraktärem Verlauf ohne neurochirurgisch resektive Optionen, von grosser Bedeutung.

Die Funktionsweise der DBS wird durch Messungen von intrakraniellen oder oberflächlichen EEG-Signalen erforscht. (Bild: Aiello et al. 2023, © Elsevier)

Personalisierte tiefe Hirnstimulation (DBS)?
Dank der Forschungsunterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung führen wir am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum in Zürich verschiedene Studien im Bereich der DBS-Forschung durch. Diese elektrophysiologisch orientierte Forschung hat zum Ziel, die Effektivität der tiefen Hirnstimulation für die einzelnen Patientinnen und Patienten zu verbessern und gleichzeitig Nebenwirkungen zu minimieren. Da die Epilepsie eine ausgesprochen heterogene Erkrankung ist, untersuchen wir in einer aktuellen Studie individuelle Unterschiede der Hirnsignale zwischen verschiedenen Patientengruppen, um das Therapieansprechen vorherzusagen und zu optimieren.
In einer kürzlich publizierten Observationsstudie haben wir in einer Kohorte von 15 Personen mit Epilepsie nun die Hirnsignale aus dem Thalamus mit dem Therapieansprechen (6 Monate nach Implantation) korreliert (Aiello u. a. 2023). Es zeigte sich eine überraschend hohe Korrelation von tiefen Hirnsignalen im Thetabereich auf individueller Ebene mit der späteren Reduktion der Anfallsfrequenz nach 6 Monaten. Diese longitudinale und für die tiefe Hirnstimulation relativ breit angelegte Studie beweist erstmalig, dass die Hirnsignale das Therapieansprechen individuell voraussagen können.
In einem nächsten Schritt werden wir untersuchen, wie wir diese Informationen nutzen können, um die tiefe Hirnstimulation auf individueller Ebene zu optimieren. Diese Herangehensweise im Sinne einer personalisierten Stimulationstherapie hat zum Ziel, die Effektivität der Stimulation zu steigern, ohne dass vermehrt Nebenwirkungen zu befürchten sind. Dieser Bereich der Epilepsieforschung wird in aktuell weiterführenden Projekten durch die PhD-Kandidatin Giovanna Aiello (in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Rafael Polania, ETH Zürich) durchgeführt.

Tiefer Schlaf durch tiefe Hirnstimulation
In einem weiteren Projekt in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Prof. Christian Baumann (Universitätsspital Zürich) haben wir das Nebenwirkungsprofil bezüglich Schlafstörungen der DBS-Kohorte untersucht (Buenzli u. a. 2023). Überraschenderweise fanden wir im Gegensatz zu anderen Studien keine Verschlechterung des Schlafmusters unter tiefer Hirnstimulation, sondern konnten im Gegenteil eine Verbesserung des konsolidierten NREM-Schlafanteils beobachten. Dies bedeutet, dass die Patientinnen und Patienten unter kontinuierlicher tiefer Hirnstimulation von einem verbesserten Tiefschlaf und weniger Tagesschläfrigkeit profitieren. Diese Arbeit ist die erste DBS-Studie dieser Art, in der solche Untersuchungen prospektiv durchgeführt wurden. Für Menschen mit Epilepsie und tiefer Hirnstimulation liefert diese Studie wichtige klinische Informationen, insbesondere mit Blick auf Therapieoptimierungen und mögliche Nebenwirkungen bei vorbestehenden Schlafstörungen oder sogar zur Verbesserung des Tiefschlafes durch die tiefe Hirnstimulation.

Interdisziplinäre Forschung und weitere Entwicklung
Das Zentrum für Epileptologie und Epilepsiechirurgie ZEE (Kooperationsverbund mit dem Kinderspital Zürich und dem Universitätsspital Zürich) bietet für diese interdisziplinären Forschungsprojekte das ideale Netzwerk. Im Rahmen des ZEE können wir neurochirurgische, epileptologische ebenso wie neuropsychologische oder psychiatrische Effekte und Nebeneffekte interdisziplinär und interinstitutionell erforschen.

Zusammenfassend zeigt sich aktuell, dass sowohl die Wirksamkeit als auch das Nebenwirkungsprofil erstens eine starke individuelle Streuung aufweist, zweitens von den individuellen Hirnströmen abhängt und drittens von der Lage der Elektroden mitbeeinflusst wird. Daraus folgt, dass individualisierte Ansätze in Zukunft die Entwicklung in Richtung zu einer personalisierten Stimulation aufzeigen werden. Beispielsweise ist denkbar, dass die Hirnströme direkt in einem Feedback-Algorithmus die tiefe Hirnstimulation steuern und so stromsparender, effektiver und nebenwirkungsärmer appliziert werden können. Diese sogenannte Closed-Loop-Stimulation ist aktuell im Bereich der Bewegungsstörungen in experimentellen Studien in Anwendung und ist sicherlich auch für die Epilepsieforschung ein zukunftsträchtiges, vielversprechendes Verfahren. Aktuelle Forschungsansätze an unserem Zentrum zielen nun darauf ab, diese individualisierten Signale besser zu charakterisieren, deren Kontinuität auch im Langzeitverlauf zu untersuchen und so die Grundlage zu legen für eine optimierte Feedback-gesteuerte tiefe Hirnstimulation.

Fachsymposium am 21. September 2023

«Hirnstimulation bei Epilepsie: Klinische Anwendung und aktuelle Forschung»

Erfahren Sie mehr zu transkraniellen Stimulationsverfahren, Vagusnervstimulation und tiefer Hirnstimulation.

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Literatur

Aiello G, Ledergeber D, Dubcek T, Stieglitz L, Baumann C, Polanìa R, Imbach LL. Functional network dynamics between the anterior thalamus and the cortex in deep brain stimulation for epilepsy. Brain. 2023 Jun 21:awad211. doi: 10.1093/brain/awad211. Epub ahead of print. PubMed PMID: 37343140.

Buenzli JC, Werth E, Baumann CR, Belvedere A, Renzel R, Stieglitz LH, Imbach LL. Deep brain stimulation of the anterior nucleus of the thalamus increases slow wave activity in non-rapid eye movement sleep. Epilepsia. 2023 Aug;64(8):2044-2055. doi: 10.1111/epi.17657. Epub 2023 Jun 5. PubMed PMID: 37209093.


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