Artikel | 13.06.2023

Dissoziative vs. epileptische Anfälle: Herausforderung in der Diagnosestellung

Die grosse äusserliche Ähnlichkeit zwischen epileptischen und dissoziativen Anfällen erschwert die Diagnose. Erfahrene Fachpersonen aus Neurologie und klinischer Psychologie arbeiten am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum an der Klinik Lengg eng zusammen und nutzen ein breites Spektrum ambulanter und stationärer Diagnostikangebote.

Die Unterscheidung von dissoziativen und epileptischen Anfällen ist die häufigste und gleichzeitig herausforderndste Differentialdiagnose im Bereich der paroxysmalen Störungen. Hypermotorische Frontallappen-Anfälle sind beispielsweise auch für epileptologisch erfahrene Klinikerinnen und Kliniker rein semiologisch nicht immer von dissoziativen Anfällen zu unterscheiden. Erschwerend kommt hinzu, dass bei einigen Patientinnen und Patienten sowohl dissoziative als auch epileptische Anfälle auftreten können.

Fundierte und rasche Diagnose soll Klarheit schaffen
Bei unklaren Erstanfällen, bei Auftreten neuer Anfallssemiologien oder bei atypisch therapierefraktären Behandlungsverläufen ergeben sich häufig Fragen zur Wahl und Steuerung der Therapie. Je nach nosologischer Zuordnung der Ereignisse impliziert diese sehr unterschiedliche, aber in jedem Fall weitreichende Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten. Eine diagnostische (Re-)Evaluation im stationären Setting kann in diesen Fällen hilfreich sein und Klarheit schaffen im Hinblick auf medikamentöse und ggf. nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen.

Video-EEG-Intensivmonitoring
Die kombinierte Video-EEG-Registrierung eines patiententypischen Anfalls oder einer neuen Anfallssemiologie ist weiterhin der diagnostische Goldstandard zur Zuordnung epileptischer versus nicht-epileptischer Ereignisse. Auf unserer Intensivmonitoring-Station mit durchgehender 24-Stunden-Überwachung durch neurophysiologisches Fachpersonal sind die apparativen und personellen Rahmenbedingungen hierfür optimal.

Bei Bedarf führen wir auch eine NaCl-Anfallsprovokation durch. Durch die Anwendung eines offenen und transparenten Open-Label-Placobo-Protokolls sind früher in der Literatur teils kontrovers diskutierte ethische Bedenken bezüglich dieser Zusatzuntersuchung ausgeräumt worden.

Enge interprofessionelle Zusammenarbeit
Im Rahmen der differenzialgiagnostischen Abklärung an unserem Zentrum arbeiten erfahrene Fachpersonen aus Neurologie und klinischer Psychologie eng zusammen. Bereits während der Intensivüberwachung führen wir eine klinisch-psychologisch / psychiatrische Abklärung durch, um etwaige intrapsychische und/oder psychosoziale Konflikte und Belastungen zu evaluieren, die aetiologisch mit dissoziativen Anfällen in Zusammenhang stehen könnten.

Am Diagnoseeröffnungsgepräch nehmen ebenfalls Fachpersonen sowohl aus der Neurologie als auch aus der klinischen Psychologie teil. Mit diesem Vorgehen können wir mit den Patientinnen und Patienten nicht nur eine möglichst klare epileptologische Ausschlussdiagnostik, sondern gleichzeitig auch eine (ggf. hypothetische) psychologische Einschlussdiagnostik beprechen. Gemäss unserer Erfahrung erhöht dieses Vorgehen die Plausibilität der Diagnosestellung für die zuerst oft skeptischen Betroffenen und begünstigt damit den Weg in eine psychotherapeutische Behandlung.

Bei Bedarf verlängern wir die stationäre Abklärung um 1–2 Wochen im Sinne einer stationären "Anschubtherapie", beispielsweise bei invalidisierend florider Anfallsfrequenz oder bei brüchiger Behandlungsadhärenz zur Vorbereitung eines ambulanten Therapiesettings.

Ambulante Psychosomatik mit massgeschneiderten Therapieangeboten
In unserem der Klinik Lengg angeschlossenen Zentrum für ambulante Psychosomatik bieten wir Patientinnen und Patienten mit dissoziativen Anfällen massgeschneiderte ambulante Therapien an. Bei Bedarf können wir ausserdem auf die weiteren ambulanten Klinikangebote der Somnologie, Sozialberatung sowie Physio- und Ergotherapie zugreifen und die Behandlungen nach Indikation erweitern.

Unser psychosomatisches Leistungsangebot steht natürlich allen Personen mit entsprechenden Beschwerden zur Verfügung, unabhängig davon, ob sie eine Epilepsie haben oder nicht und auch unabhängig davon, ob ihre etwaige neurologische Behandlung an der Klinik Lengg oder anderswo erfolgt.

Fachsymposium am 23. Juni 2023

«Dissoziative Störungen aus psychiatrischer und neurologischer Sicht»

Hier anmelden Hier anmelden